Audi Activesphere: So könnte die automobile Zukunft aussehen, wenn da nicht die Probleme der Serienfertigung wären
Audi prüft derzeit mit einem vierten Concept-Car aus der Familie der sogenannten Sphere-Modelle das Kundeninteresse. Zwei arrivierte Designer des Herstellers geben Einblicke in Sinn und Inspiration von Automobil-Design und Konzeptstudien.
Die vier Audi-Konzeptstudien Skysphere, Grandsphere, Urbansphere und Activesphere sind alle im Design Loft in Malibu in Kalifornien entstanden. Audi leistete sich diesen Standort als deutscher Automobilkonzern vor sechs Jahren nicht von ungefähr. «In Los Angeles lebt man praktisch im Auto», erklärt Gael Buzyn, Senior Director Audi Design Loft in Malibu.
«Die Kalifornier haben einen interessanten Lebensstil und eine starke Autokultur.» Und Staus. Speziell in Los Angeles. Für Buzyn bieten sie durchaus Inspiration: «Tausende von Menschen klemmen Stossstange an Stossstange in starken Maschinen, ohne grossartig darüber nachzudenken, worin sie sitzen. Sie telefonieren, sinnieren über ihre Arbeit nach, hören Musik. Multitasking. Das fasziniert mich.»
Die Crossover-Studie Activesphere ist allerdings nicht auf ihre vier monströsen 22-Zoll-Räder gestellt worden, um Stauprobleme zu lösen – ein Schicksal, das sie mit so vielen anderen Konzeptstudien diverser anderer Automobilhersteller auch teilt. Concept-Cars sollen die Fähigkeiten der Designer zeigen, dazu technische Errungenschaften, Fortschritt, aber auch ganz neue Möglichkeiten.
Die Studien sind Spielwiesen, die per se nicht für Serienautos geplant werden. Aber vieles hat sich verändert, Autos verkaufen sich nicht mehr einfach so. Bisher haben Ingenieure und Techniker Autos entworfen, heute müssen Lifestyle-Spezialisten ans Werk, die die Bedürfnisse der Verbraucher verstehen.
Alleskönner auf Rädern
Der Audi Activesphere ist der Transformer unter den Concept-Cars. Auf Tastendruck verwandelt er sich in einen Pick-up mit Ladefläche für Velos. Skiträger sind ein- und ausfahrbar, die Bodenfreiheit veränderbar. Das Auto ist parat für autonomes Fahren, bringt aber auf Knöpfchen Lenkrad und Dashboard in Position.
«Wir sind eine globale Firma», führt Gael Buzyn weiter aus. «Wir müssen verstehen, was die Bedürfnisse der Leute sind.» Und das ist anscheinend, mit ein und demselben Auto verschiedenste Dinge zu erledigen: zum Surfen fahren, Board und Wetsuit mitnehmen, tagsüber vielleicht Kunden elegant durch die Gegend chauffieren und abends noch einmal hinaus in die Natur, um einen Trail per Gravelbike abzuarbeiten.
Wofür der gemeine Bürger von Los Angeles sonst vielleicht einen Jeep Wrangler und einen Porsche Panamera brauchte, dafür soll er in Zukunft auf ein multifunktionales und wandelbares Vehikel umsteigen können. Und elektrisch soll es sein. 600 Kilometer Reichweite soll das Konzeptauto haben. Die Schnellladetechnik aus dem PPE-Baukasten von Audi und eine 800-Volt-Technik sind noch Zukunftsmusik.
Emotionen digital erleben
Für Menschen mit Benzin im Blut ist das alles eine harte Nuss. Man fragt sich angesichts der glatt gezogenen und futuristischen Linienführung des Audi Activesphere, wo denn die Emotionen bleiben. Haben die Designer vergessen, wie es sich anfühlt, in ein Auto mit Charakter zu steigen?
«Tatsächlich hat ein Porsche 928 meinen Wunsch geprägt, Autodesigner zu werden», erinnert sich Buzyn. Durfte er aber nicht – seine Eltern waren der Meinung, Autos würden von Ingenieuren und nicht von Designern entworfen. Der Junge sollte Architekt werden, damit er immer einen Job haben würde.
Architektur studierte Gael Buzyn denn auch, aber sein Drang, Autos zu entwerfen, war stärker. Was die Architektur mit dem Autodesign verbinde, sei, dass man immer zuerst die Gesellschaft und den Menschen ins Zentrum des Schaffensprozesses stelle: «Wir überlegen uns erst, für wen und für welche soziale Gruppe das Auto sein soll. Daneben machen wir uns Gedanken über Mobilität und die DNA der Marke. Von meinem Kollegen Sid kommen digitale Ideen und völlig neue Eigenschaften, die uns inspirieren. So entsteht langsam eine Vision.»
Diese ist im Fall des Audi Activesphere bis unter die Hutschnur mit allem angefüllt, was die moderne digitale Technik zu bieten hat. «Wir überlegen, wie wir die Norm durchbrechen können», bestätigt Sid Odedra, Head of User Interface / User Experience Design (UI/UX) bei Audi in München. Und dass er Jahre im Voraus denken muss, wenn er die digitalen Features für ein Auto gestaltet: «Der Audi Activesphere erlaubt es dem Nutzer, seine eigenen Geräte in das Auto zu bringen. Und mehr noch: Wir wissen, wohin der Trend geht. Das iPhone bewegt sich aus der Tasche ins Gesicht.»
Damit meint der UI/UX-Designer die erstmals im Zusammenspiel mit dem Audi Activesphere verwendeten Mixed-Reality-Brillen. Sie liefern eine Technologie für ein Bedienkonzept, das erstmals in einer Studie verbaut wurde und unter dem Namen Audi Dimensions läuft. Grob vereinfacht erzeugt die Brille einen räumlichen Bezug zu virtuellem Inhalt, die reale Welt wird dreidimensional abgebildet. Der Benutzer kann mit den Projektionen interagieren.
Sid Odedra gibt ein praktisches Beispiel: «Wir haben digital den Prozess zum Aussuchen von Musik aus den Playlists oder Bibliotheken als sichtbare Grafik erzeugt, und man kann sie virtuell bedienen, wie wenn man mit den Händen durch eine Plattensammlung blättert.» So funktioniere die Verknüpfung der alten mit der neuen Welt.
Lernen von Klassikern
Den Audi Activesphere umgibt eine futuristische, unpersönliche Aura. Er wirkt wie aus einem Computerspiel in die Welt gesetzt. Gael Buzyn jedoch glaubt zu wissen, dass auch so ein Entwurf irgendwann einmal zu einer klassischen Ikone wird. «Ich fahre privat einen Porsche 944, liebe nur klassische Uhren, höre Musik ab Schallplatte und lebe in einem Mid-Century-Haus. Ich lerne von den ganz grossen Designern und Kreateuren von früher. Ich versuche zu verstehen, warum all diese Produkte Klassiker geworden sind, was die Menschen, die sie geschaffen haben, richtig gemacht haben. Um dann diesen Prozess für die Autos der Zukunft anzuwenden. Ich hoffe, dass das, was ich mache, genauso ein bisschen zeitlos ist.»
Sid Odedra ist da etwas nüchterner: «In fünf oder zehn Jahren sind die Autokäufer diejenigen, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind. Sie haben den Bezug zu Dingen wie einer LP verloren. Ihre Emotionen finden sie darin, dass sie grenzenlosen Zugang zur komplexen digitalen Welt haben.»
Was von den Studien übrig bleibt
Inwieweit diese technischen Möglichkeiten tatsächlich Eingang in die jeweils vorgesehenen neuen Modelle finden werden, wurde nicht verraten. Zwischen den Zeilen war herauszuhören, dass sehr wohl die nächsten Generationen der elektrischen Audi-Q-E-Tron-Familie und auch der grossen Porsche-SUV ein Quentchen Activesphere abbekommen werden. Der ganze Aufwand muss sich ja irgendwie lohnen.
Einen Vorgeschmack gab schon der futuristische, aber nicht so erfolgreiche Audi RS Q E-Tron auf dem diesjährigen Rally Dakar. Etwaige Ähnlichkeiten mit dem Audi Activesphere seien rein zufällig, gibt Audi auf Nachfrage bekannt. Solche futuristischen Monster sind ohnehin nicht die Lösung der Mobilitätsprobleme. Es gibt allerdings Hoffnung: Gael Buzyn verriet, dass er und sein Team sehr wohl an Lösungen für die Mobilitätsproblematiken dieser Welt arbeiten, es sei das nächste grosse Projekt.
Der Besuch der Weltpremiere erfolgte auf Einladung von Audi.
Author: Andrew Jones
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